Finde mich. - Jetzt Page 7
»Wo gibt es die nicht?«, frage ich.
»In Rosedale. Da, wo ich herkomme. Da gibt es nur Reihenhäuser und gepflegte Gärten. Gewaschene Autos und besorgte Mütter, die ihre Karrieren für die Kinder aufgegeben haben.« Sie verdreht die Augen.
»Im Ernst?«
»Im Ernst. Und ich wäre vermutlich ebenfalls eine dieser besorgten Mütter geworden.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, sage ich. »Dafür bist du viel zu …« Mir fällt kein geeignetes Wort ein.
»Viel zu was?«, will sie wissen.
»Ach, ich weiß nicht. Viel zu … lebendig?«
Sie lächelt. Die Nähe zwischen uns kommt mir gar nicht mehr so aufdringlich vor.
»Danke«, sagt sie und richtet den Blick an die Decke.
Ich lege mich neben sie und starre auch nach oben. So liegen wir eine Weile schweigend nebeneinander. Ich höre ihren Atem und wüsste gern, worüber sie jetzt nachdenkt. Über ihren Ex? Ihre Mutter?
»Darf ich dich etwas fragen? Du musst auch nicht antworten«, sagt sie plötzlich.
»Wenn ich nicht antworten muss, nützt dir die Frage doch nichts«, erwidere ich.
»Na ja, vielleicht beantwortest du sie freiwillig. Ich will mich nur absichern für den Fall, dass du sonst wieder sauer wirst.«
Ich glaube, ich weiß, worauf sie anspielt. Vorhin im Treppenhaus. Das war nicht gerade elegant von mir gelöst.
»Na schön, also frag schon«, sage ich und versuche, nicht ruppig zu klingen. Schließlich hat sie sich mir auch anvertraut.
»Warum bist du manchmal so unnahbar?«, fragt sie.
»Das kann ich nicht beantworten«, sage ich. Denn wenn ich es ihr erklären würde, müsste ich ihr die letzten sechs Jahre erklären.
»Aber gibt es einen Grund?«
»Gibt es nicht immer einen Grund?«
»Keine Gegenfrage!«, beschwert sie sich.
»Also schön«, sage ich und mir wird ganz heiß, weil ich nicht weiß, wie mir geschieht. »Ja, es gibt einen Grund.«
»Und sagst du ihn mir?«
Ich setze mich ruckartig auf. Als ich antworte, klingt meine Stimme viel härter, als ich geplant hatte. »Wenn ich das wollte, hätte ich es dir schon erzählt.«
9 Tamsin
Was meint er denn damit? Dieser Kerl überfordert mich. Aber das ist natürlich mal wieder typisch. Ich erzähle ihm alles, was er wissen will. Einfach so. Fast habe ich schon das Gefühl, dass zwischen uns so etwas wie Vertrautheit entsteht. Aber im Gegenzug? Nichts. Das soll kein Vorwurf sein. Er kann ja machen, was er will. Mich geht es auch nichts an. Es ist ja nicht so, als wären wir Freunde. Aber eigentlich wäre es doch ganz schön, wenn zumindest die Möglichkeit einer Freundschaft bestünde. Gerade, wenn man wie ich frisch in eine neue Stadt gezogen ist. Aber er wohnt eben schon sein ganzes Leben lang hier und hat vermutlich genug Leute, die er Freunde nennen kann.
Ich drehe mich auf die Seite und stütze mich auf meinen rechten Ellenbogen. Mit der linken Hand tue ich so, als würde ich Fusseln von der neuen Matratze zupfen. Es war eine dumme Idee, unsere Kaffee-Matratzen-Bekanntschaft auf eine persönlichere Ebene heben zu wollen. Das weiß ich jetzt. Ich will gerade ansetzen, ihm genau das zu sagen, als er sich räuspert. Ich sehe auf, doch er bewegt sich nicht. Ich sehe nur seinen breiten Rücken, dessen Muskeln sich unter dem verwaschenen T-Shirt abzeichnen. Er scheint seinen Nacken anzuspannen, denn dort treten Sehnen hervor. Er macht ein Geräusch, das klingt wie Zähneknirschen. Auf einmal finde ich die Situation gar nicht mehr so ungezwungen. Sein Schweigen, seine Körperhaltung und vor allem seine Statur wirken plötzlich bedrohlich. Vielleicht sollte ein naives Mädchen aus Rosedale nicht einfach so fremde, kräftige Männer zu sich nach Hause einladen.
»Wenn ich dir jetzt etwas erzähle«, sagt Rhys plötzlich leise und klingt gar nicht mehr nach sich selbst, »versprichst du mir dann, darauf zu vertrauen, dass ich die Wahrheit sage?«
Ich bin etwas perplex. Seine Stimme ist so ernst, so eindringlich.
»Ja. Natürlich«, sage ich, ohne zu überlegen. Mein Herz schlägt schnell.
»Und kannst du mir garantieren, dass du dich damit zufriedengeben wirst?«
»Ja.«
Er fährt sich mit der Hand durch die dunkelblonden Haare und zögert einen Moment. Beinahe glaube ich, er sagt nichts mehr. Doch dann beginnt er zu sprechen. Sehr leise, sodass ich nicht wage, mich zu bewegen.
»Ich bin hier in Pearley geboren und aufgewachsen. Und auch die letzten Jahre habe ich hier verbracht. Allerdings nicht in der Stadt, sondern …« Er hält inne, und ich traue mich nicht, mich zu rühren, aus Angst, er könne nicht mehr weitersprechen. »Sondern im Gefängnis.«
Ich liege stocksteif neben ihm. Sein Geständnis erschreckt mich. Im Gefängnis? Warum?
Er spricht weiter. »Ich habe sechs Jahre im Knast gesessen. Seit ich fünfzehn war. Unschuldig. Die blonde Frau, die du im Café gesehen hast, Amy, das ist meine Sozialarbeiterin.«
Mir entweicht ein Laut, der klingt wie ein zu hohes Keuchen, obwohl er eine Mischung aus Mitleid, Überraschung und Entsetzen ist. Ich schlage mir die Hand vor den Mund.
»Das ist … wie … wie ist das möglich?«, stammle ich. »Was hast du gemacht?«
»Ich habe gesagt, ›unschuldig‹«, sagt er heiser. »Und du wolltest dich damit zufriedengeben.« Die letzten Worte presst er durch seine aufeinandergebissenen Zähne.
»Ja, natürlich, entschuldige. Das ist nur … das ist so unglaublich!«
»Ich weiß«, flüstert er, und ich habe das Gefühl, dass seine Stimme zittert.
Ich setze mich auf und blicke ihn an. Er starrt unbeweglich auf die Wand vor sich, das Gesicht hart.
»Und wie geht es dir jetzt?«, frage ich, weil ich die Stille zwischen uns unerträglich finde nach dieser Offenbarung.
»Okay, schätze ich.« Er scheint sich plötzlich daran zu erinnern, wo er sich befindet, denn er entspannt seine Schultern. Seine Stimme nimmt wieder die gewohnte Lautstärke ein. Er wendet seinen Kopf, wie um mich anzusehen. Doch unsere Blicke streifen sich nur kurz. Dann sieht er sofort auf die Matratze zwischen uns.
»Es ist seltsam, draußen zu sein«, gesteht er. »Die Welt ist irgendwie zu … voll. Und für mich ist kein Platz.«
»Was sagst du denn da! Natürlich ist für dich Platz! Wer soll mich denn mit Kaffee versorgen?« Ich versuche mich an einem kleinen Scherz und hoffe, dass er es nicht falsch versteht.
Er lächelt leicht. »Ja, ich schätze, das kann ich.«
Ich bin immer noch wie gelähmt. Ich wünschte, er würde mir erzählen, wie es zu alldem kommen konnte, erinnere mich aber an unsere Abmachung. Wenn das wirklich stimmt … dann hat Rhys beinahe seine gesamte Jugend im Gefängnis verbracht. Und ich habe versprochen, ihm zu glauben, so schwer vorstellbar das auch ist. Ich lege meine Hand ganz vorsichtig auf seine Schulter zum Zeichen, dass er mir vertrauen kann. Als ich ihn berühre, zuckt er zusammen. Ich ziehe die Hand wieder weg.
»Weißt du, es ist schon okay, solange man nicht drüber nachdenkt. Das habe ich am Anfang genug gemacht. Aber irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es Sachen gibt, die man ertragen muss. An denen man ohnehin nichts ändern kann. Es laut auszusprechen ist hart. Das macht es real und bringt Erinnerungen zurück.«
»Okay. Dann sprechen wir nicht drüber. Nur wenn du … also, … wenn du möchtest.« Ich will ihm auf jeden Fall das Gefühl geben, dass er mit mir reden kann.
»Danke. Das wird nicht nötig sein.« Seine Stimme ist jetzt wieder fest, und er sieht mich sogar an. Er wirkt ganz normal. Oder na ja, so normal, wie er eben wirkt. Seine Augen blicken mich eindringlich an und geben meinem Puls gar keine Chance, sich wieder zu beruhigen. Rhys’ Enthüllung ist mir vermutlich fast so nahegegangen wie ihm selbst. Der Anblick seines gequälten Gesichtsausdrucks hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Manchmal wünschte ich, ich könnte meine Kopfkamera besser kontrollieren.
10 Rhys
Jetzt ist es also raus. Ich habe einer fast fremden Person mein Geheimnis verraten. Mir wird plötzlich bewusst, dass ich ihr schon seit einigen Sekunden direkt in die Augen blicke. Sie wend
et sich ab. Natürlich tut sie das. Wie soll sie sich neben mir wohlfühlen? Neben einem Verurteilten? Einem von der Gesellschaft Ausgestoßenen, der gerade vom System wieder ausgekotzt wurde? Warum habe ich es ihr nur erzählt! Wie konnte ich jemals annehmen, dass sie mir glauben würde? Ich muss hier verschwinden. Noch kann ich nicht absehen, was mein Geständnis für Auswirkungen haben wird, aber ich werde hier nicht herumsitzen und darauf warten, dass dieses seltsame Mädchen mich verurteilt. Ich stehe auf.
»Ich sollte dann mal wieder runtergehen. Liz ist ganz alleine im Café.«
»O ja, natürlich. Danke für deine Hilfe. Und für – na ja, du weißt schon. Deine Offenheit.«
»Wir sehen uns«, sage ich, hebe die Hand zum Gruß und laufe aus ihrer Wohnung, die Treppe hinunter und über die Straße ins Café. Beinahe renne ich.
Sobald ich den Laden betrete, habe ich das Gefühl, wieder in Sicherheit zu sein. Auf bekanntem Terrain. Was bin ich für ein Idiot! Wie konnte ich nur für eine Sekunde annehmen, dass dieser kurze Augenblick der Vertrautheit, den ich mir eingebildet habe, eine Basis wäre für eine solche Geschichte? Ich verstehe nicht, was mit mir geschieht. Habe ich durch ein Fenster in ein normales Leben geblickt und für einen kurzen Moment gedacht, ich könnte es teilen? Als hätten mich die letzten Jahre nichts gelehrt. Vertraue niemandem. Anscheinend nicht mal dir selbst. Das muss die Devise sein. Ich bin nicht hier, um Freunde zu finden. Dafür werde ich nicht einmal lange genug bleiben. Ich muss mich fokussieren.
»Wo hast du dich denn rumgetrieben? Siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«, sagt Liz, als sie aus der Küche kommt. Die Nächste, die mich mit Fragen in die Enge treiben will. In der Hand hält sie einen Teller mit einem Sandwich darauf, den sie nun lächelnd vor den einzigen Kunden im Café stellt. »Bitte schön«, sagt sie an den alten Mann gewandt.
»Habe nur jemandem geholfen«, nuschle ich. Mein Leben geht Liz nichts an. Und wenn ich kurz mal nach draußen gehe, brauche ich danach keine Fragestunde.
»Amy hat angerufen. Sie sagt, du sollst bei ihr vorbeikommen, wenn du Zeit hast. Sie ist heute bis neun im Büro.«
»Hat sie gesagt, was sie wollte?« Das hat mir gerade noch gefehlt. Noch jemand, der mich löchert.
»Sie hat gesagt, es sei dringend. Sie braucht bei irgendwas deine Hilfe.«
»Meine Hilfe?« Was soll denn das bedeuten? Ungläubig runzle ich die Stirn. Doch Liz zuckt nur mit den Schultern und geht nach hinten ins Lager.
Als ich nach Feierabend Amys Büro betrete, brütet sie über irgendwelchen Ordnern. Sie blickt auf und lächelt mich an.
»Ah, Rhys, schön dich zu sehen!«, sagt sie. »Na? Wie geht’s?«
Ich seufze. Immer das Gleiche! »Wie soll es schon gehen?«, frage ich barsch. »Was soll diese Fragerei andauernd? Tamsin, Liz, du, ich habe keine Lust, ständig kontrolliert zu werden. Das ist wie im Gefängnis hier. ›Wo warst du?‹, ›Wie läuft es?‹, ›Wie fühlst du dich?‹. Als wäre ich grenzdebil oder so. Es ist ein bisschen spät für solche Fragen«, bricht es plötzlich aus mir heraus. Ich bin selbst etwas perplex über meine Lautstärke, aber das hat sie nun davon.
»Äh«, sagt Amy und sieht mich leicht verwirrt an. »Ich frage das ehrlich gesagt jeden, den ich länger nicht gesehen habe. Das ist reine Höflichkeit. Nur weil ich es schön finde, wenn man mir Interesse entgegenbringt, muss das ja nicht auch für dich gelten. Wenn es dich stört, lasse ich es ab jetzt. Ist notiert.«
Na toll. Jetzt bin ich also auch noch das Arschloch. »War wohl einfach ein langer Tag«, sage ich entschuldigend. »Liz meint, du brauchst meine Hilfe?«
»Ja, genau.« Amy scheint mir meinen Ausbruch glücklicherweise nicht übel zu nehmen. »Ich habe eine Liste von Empfehlungen für unser Programm bekommen. Die Gefängnispsychologen im Umkreis schicken mir ab und zu geeignete Kandidaten, die bald entlassen werden, wenn wir Kapazitäten haben. Da dein Mitbewohner – wie schon gesagt – rückfällig geworden ist, haben wir noch einen Platz frei. Und ich dachte, vielleicht wäre es auch in deinem Interesse, wenn du einen Blick auf die Namen wirfst. Schließlich musst du mit demjenigen, den wir auswählen, zusammenwohnen.«
Macht sie das, um sich bei mir einzuschleimen? Will sie mir das Gefühl geben, dass ich ein Mitspracherecht habe? Oder geht es darum, das Konfliktpotenzial zu minimieren? Was auch immer ihre Motivation ist, mir soll’s recht sein.
Sie winkt mich zu sich hinter den Schreibtisch und öffnet einen Ordner. Obenauf liegt ein Brief von Mr Brentford, dem Psychologen des PJP, bei dem ich auch einige Male war. Besonders in der Anfangszeit bestand er darauf, mich häufiger zu sehen. Bis ich aufgehört habe, mit ihm zu sprechen. Denn helfen konnte er mir ohnehin nicht. Niemand konnte an meiner beschissenen Situation etwas ändern – abgesehen von mir selbst. Unter dem Brief liegen einige Akten.
»Das Material ist streng vertraulich«, sagt Amy. »Aber die Namen kann ich dir verraten, dagegen spricht nichts. Vielleicht kennst du ja einen der drei und teilst Mr Brentfords Ansicht.« Sie reicht mir den Brief.
Einer der Namen springt mir sofort ins Auge. Malik Capela. Ein athletischer Afroamerikaner. Ich hatte nicht viel mit ihm zu tun, denn im PJP wurden die Insassen streng nach Hautfarbe getrennt, um Konflikte zu vermeiden – so die offizielle Version. Ich glaube, die Mitarbeiter sind einfach verdammte Rassisten. Malik aber ist mir in Erinnerung geblieben. Ich war nach einem Faustkampf gegen jemanden, den ich aus meinem Gedächtnis streichen möchte, ein paar Tage in Einzelhaft gewesen. An dem Morgen, als ich wieder rauskam, nickte Malik mir auf dem Gang zu. So etwas vergisst man nicht. Der zweite Name gehört zu einem blassen Mittzwanziger, über den ich nichts weiß, der dritte sagt mir nichts, klingt aber südamerikanisch. Meine Entscheidung steht fest.
»Malik«, sage ich und zeige auf seinen Namen.
11 Tamsin
Ich habe Rhys seit seinem Geständnis vor etwas über einer Woche nicht mehr gesehen. Ich hoffe, er denkt nicht, dass ich ihm aus dem Weg gehe. Ich habe es seitdem nur zweimal ins Café geschafft, aber beide Male war er nicht da. Die Uni hat jetzt richtig angefangen, und ich bin ziemlich eingespannt. Neben meinen allgemeinen Kursen und Vorlesungen besuche ich noch drei Seminare. Ein Einführungsseminar in die Literaturgeschichte, eines zu den Werken John Steinbecks und das Seminar über Kriminalliteratur, dessen Leseliste mich ganz schön auf Trab hält. Zum Einführungsseminar gehört außerdem eine Übung, die Sam leitet. Beim ersten Mal hatte ich keine Ahnung und war völlig perplex, als ich von meinem Buch aufblickte, um zu sehen, wie Sam seinen Namen an die Tafel schrieb. Nach der Doppelstunde wurde er von einigen meiner Kommilitoninnen umringt, die laut Sam Fragen zum Inhalt der Übung hatten. Oder eher Fragen zu seiner Telefonnummer, wie ich glaube. Ich freue mich, dass er hier an der Uni genau das gefunden hat, was ihn dazu antreibt, das Beste aus sich herauszuholen. Ich hoffe, das gelingt mir auch. Als Dozent ist er superverständlich und mitreißend. Man kann gar nicht anders, als ihn beeindrucken zu wollen.
Doch heute bin ich nach der Übung mit ihm verabredet. Wir haben länger keine Zeit miteinander verbracht und wollen gemeinsam einen Kaffee trinken. Außerdem habe ich einen Plan und brauche dafür seine Hilfe.
Nach der Doppelstunde wird Sam wieder von einer Mädchentraube belagert. Zelda, die neben mir sitzt, schnaubt. »Jaja, wir wissen es. Er ist zuckersüß und intelligent. Aber wie peinlich ist es bitte, sich so anzubiedern?«
Ich muss lachen. Mir gefällt Zeldas direkte Art. Ich freue mich immer, wenn sie sich neben mich setzt und mir trockene Kommentare auf meinen Block kritzelt.
»Was meinst du? Hat eine von denen eine Chance bei McPerfect?«
Sam heißt McPherson mit Nachnamen, und mir gefällt das Wortspiel. »Ich glaube nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er auf Groupies steht«, erwidere ich.
Die Mädchentraube löst sich langsam auf, und als nur noch zwei Studentinnen an Sams Pult stehen, blickt er kurz auf und ruft: »Ich bin gleich so weit, Tams. Gibst du mir noch eine Minute?«
»Waaaaas?«, flüstert Zelda, die gerade noch ihr Handy in die Tasche packt, in mein Ohr. »Hast du etwa was mit dem? Warum sagst du denn nichts?« Sie boxt mich in die Seite u
nd grinst breit.
»Nein, Sam und ich sind nur Freunde. Wir kennen uns schon ewig«, sage ich, aber mir entgeht ihr übertriebenes Zwinkern nicht. »Ernsthaft, da läuft nichts zwischen uns. Selbst wenn ich etwas von ihm wollte, ich bin extra hierhergekommen, um von einem Kerl wegzukommen. Da lache ich mir doch nicht gleich den nächsten an.«
»Du kommst hierher? In McPerfects Übung? Um von einem Kerl wegzukommen? Na, wenn das kein todsicherer Plan ist …«, sagt Zelda mit ironischem Unterton.
»Jetzt hör schon auf.« Ich muss kichern. Denn von außen betrachtet ist es vermutlich wirklich nicht abwegig, dass Sam und ich ein Paar sein könnten. Aber das hier ist meine Zeit. Und selbst wenn ich vielleicht früher mal für ihn geschwärmt habe, würde ich dafür nicht die Freiheit des Studentenlebens aufgeben.
»Schon gut. Aber sag Bescheid, wenn sich etwas ändert. Dann müssen wir nämlich den anderen die traurige Botschaft überbringen, dass sie mit ihrer Belagerung aufhören können. So fair sollten wir sein«, witzelt Zelda noch. Dann verlässt sie den Raum. Und auch Sam scheint inzwischen alle offenen Fragen geklärt zu haben. Wir verlassen zusammen den Seminarraum Richtung Kaffeestand.
Draußen auf dem Rasen vor dem Hauptgebäude der Universität sitzen viele Studentengrüppchen. Wir suchen uns einen Platz unter einem Ahornbaum und lassen uns in seinem Schatten nieder. Ich nutze die Gelegenheit, um an meinem Plan zu arbeiten.
»Gibt es etwas aus den letzten sechs Jahren«, frage ich, »das du nicht hättest verpassen wollen? Wenn du zum Beispiel …«, ich zögere, »… auf einem anderen Planeten gewesen wärst?«
»Wie kommst du denn auf so etwas?«, fragt Sam.
»Ach, diese ganze Literaturgeschichte hat mich zum Nachdenken gebracht«, versuche ich abzulenken. »Was passiert denn heutzutage noch, das bleibt?«
»Jede Menge!«, sagt Sam. »Filme, Musik, Literatur. Zeitgeschehen. Natürlich können wir noch nicht sagen, was davon bleibt, aber so ein paar Meilensteine würden mir schon einfallen.«