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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Read online




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  Von Kathinka Engel liegen im Piper Verlag vor:

  Finde-mich-Reihe:

  Band 1: Finde mich. Jetzt

  Band 2: Halte mich. Hier

  Band 3: Liebe mich. Für immer

  Love-is-Reihe:

  Band 1: Love is Loud – Ich höre nur dich

  Band 2: Love is Bold – Du gibst mir Mut

  Band 3: Love is Wild – Uns gehört die Welt

  © Piper Verlag GmbH, München 2020

  Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

  Redaktion: Anita Hirtreiter

  Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

  Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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  Inhalt

  Cover & Impressum

  Zitat

  1 – Bonnie

  2 – Jasper

  3 – Bonnie

  4 – Jasper

  5 – Bonnie

  6 – Jasper

  7 – Bonnie

  8 – Jasper

  9 – Bonnie

  10 – Jasper

  11 – Bonnie

  12 – Jasper

  13 – Bonnie

  14 – Jasper

  15 – Bonnie

  16 – Jasper

  17 – Bonnie

  18 – Jasper

  19 – Bonnie

  20 – Jasper

  21 – Bonnie

  22 – Jasper

  23 – Bonnie

  24 – Jasper

  25 – Bonnie

  26 – Jasper

  27 – Bonnie

  28 – Jasper

  29 – Bonnie

  30 – Jasper

  31 – Bonnie

  32 – Jasper

  33 – Bonnie

  34 – Jasper

  35 – Bonnie

  36 – Jasper

  37 – Bonnie

  38 – Jasper

  39 – Bonnie

  40 – Jasper

  41 – Bonnie

  42 – Jasper

  43 – Bonnie

  44 – Jasper

  45 – Bonnie

  46 – Jasper

  47 – Bonnie

  48 – Jasper

  49 – Bonnie

  50 – Jasper

  51 – Bonnie

  Danksagung

  Für all die Mutigen. Für all die Ängstlichen.

  Und für Sabine.

  1 – Bonnie

  Vor vier Jahren

  Im Fernsehen läuft Millionaire Matchmaker, unsere liebste Trash-TV -Sendung. Patti Stanger, die Moderatorin mit dem längsten Gesicht und den weißesten Zähnen der Welt, hat gerade einen ihrer Millionäre gerügt, er würde die Sache nicht ernst nehmen und wäre gar nicht auf der Suche nach der großen Liebe. Sie ist echt sauer, was nicht allzu oft passiert, und ich denke daran, dass ich Blythe morgen unbedingt von Pattis Ausbruch erzählen muss. Sie ist abends so müde, dass sie nicht einmal mehr fernsehen kann. Um kurz nach sieben wirft sie uns alle aus ihrem Hospizzimmer, damit sie schlafen kann.

  Früher war diese Show Blythes und mein guilty pleasure. Ich weiß nicht einmal mehr, warum oder wie es angefangen hat. Als dann Weston auf die Welt kam und sie mit Jasper zusammenzog, wurde er ganz automatisch auch Teil von Millionaire Matchmaker. Weswegen ich, seit Blythe im Hospiz ist, mehrmals die Woche rüberkomme, um mit Jasper zusammen die Show zu sehen. Ein bisschen Normalität auf Blythes und Jaspers Sofa in dieser grauenhaften, unerklärlichen Zeit.

  »Denkst du, tief im Innern würde Patti auch gern mal einen ihrer Millionäre daten?«, fragt Jasper.

  »Sicher. Sie redet zwar immer von ihrer grandiosen Ehe, aber die Blicke, die sie manchen zuwirft …« Ich lache. Es soll ein unbeschwertes Lachen sein, seit Blythes Diagnose lacht allerdings niemand von uns mehr wirklich unbeschwert. Weston manchmal, doch ich glaube, er versteht einfach nicht, was passiert.

  Aus dem Babyfon dringt leises Quäken, und Jasper bedeutet mir, kurz leise zu sein. Aber Maya ist anscheinend nicht wach geworden, denn nun ist sie wieder still. Die Vorstellung, dass sich die kleine Maus mit ihren achtzehn Monaten später einmal kaum an ihre Mom erinnern wird, ist unerträglich. Doch nur einer unter den Tausenden von unerträglichen Gedanken.

  »Ich habe Angst«, sagt Jasper auf einmal. Der Fernseher läuft noch, aber wir hören beide nicht mehr hin. Er schluckt.

  »Ich weiß.« Ich kann nur flüstern, weil das alles so furchtbar ist. Weil auch ich Angst habe. Angst davor, keine beste Freundin mehr zu haben. Aber verglichen mit Jaspers Angst, ist meine einfach nur albern. Und ich wette, seine ist nichts im Vergleich zu Blythes Angst.

  »Ich kann das nicht allein«, sagt er leise und senkt den Blick.

  »Du bist nicht allein, Jasper. Das verspreche ich. Wir sind alle für dich da.«

  Er schüttelt kaum merklich den Kopf. Seine Schultern hängen herab. Eigentlich sollte ich ihm nicht so nah sein, wie ich es im Moment bin. Selbstschutz und so. Doch sein Kummer ist größer als meine dummen Gefühle.

  Ich nehme sein Gesicht in meine Hände. Er hat sich länger nicht rasiert, und seine Bartstoppeln fühlen sich auf eine schöne Art kratzig an auf meinen Handflächen.

  »Sieh mich an, Jasper«, sage ich sanft, aber bestimmt. »Sieh mich an.«

  Er hebt den Blick, und ich schaue ernst in seine grünbraunen Augen. Ich liebe diese Augen, die seit Wochen dunkel umrandet sind und leicht rötlich gefärbt. Er schläft kaum und weint viel. Ich liebe seine langen Wimpern, die leicht gebogene Nase, seine geschwungenen Lippen. Seit ich ihn das erste Mal gesehen habe, liebe ich alles an ihm. Doch das spielt keine Rolle. Damals nicht und heute schon gar nicht.

  »Wir werden das hinkriegen. Wir werden zusammen kaputtgehen, und dann werden wir uns irgendwie wieder zusammenflicken. Und wir werden für Weston und Maya da sein.«

  Wieder schluckt er und nickt langsam.

  Ich lasse sein Gesicht los und schlinge stattdessen die Arme um seinen Hals. Ich drücke ihn fest an mich und ignoriere das bescheuerte Herzklopfen in meiner Brust. Seine Schultern beben, doch ich halte ihn einfach. Versuche, die Starke zu sein für Jasper, für Blythe, für Weston und Maya. Obwohl ich selbst mit jedem Augenblick mehr in mir zusammenfalle.

  Ich spüre seine starken Arme um meine Taille, spüre den Kummer in seinem Körper, so wie er meinen vermutlich ebenfalls fühlt.

  »Ich brauche dich«, flüstert er nach einer Weile und löst sich etwas von mir.

  Sofort sehnt sich mein Körper nach seiner Wärme, aber mein Körper hat die Klappe zu halten. Er hat keinen Anspruch auf Sehnsucht, kein Recht, etwas zu verlangen.

  »Ich bin da«, sage ich leise, und diesmal ist es Jasper, der mein Gesicht in seine Hände nimmt.

  »Versprich es«, sagt er, und seine Stimme bricht.

  »Ich verspreche es.«

  Mir ist beinahe, als
näherte sich sein Gesicht dem meinen. Als käme ich ihm entgegen. Aber das kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Und doch nehme ich seinen Duft auf einmal intensiver wahr als noch vor ein paar Sekunden. Ich glaube nicht, dass er in den letzten zwei Tagen geduscht hat, und so riecht er nach nichts als ihm selbst. Es ist der himmlischste Geruch, den ich mir vorstellen kann, und für diesen Gedanken schäme ich mich in Grund und Boden.

  »Versprich es«, fleht er noch einmal, und unsere Lippen sind sich jetzt so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüre.

  »Ich … verspreche es«, erwidere ich so leise, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob ich es wirklich gesagt habe.

  Jasper lässt seinen Kopf nach vorne sinken, und seine Lippen liegen nun auf meinen. Seine Arme sind wieder um meinen Körper geschlungen, und alles in mir schreit. Dass ich fliehen sollte, dass ich bleiben sollte, dass ich das Falsche tue, dass das hier genau richtig ist, dass wir alles zerstören, dass dies die Erfüllung all meiner Sehnsüchte ist, dass ich eine miese Verräterin bin, dass Jasper der Mann meiner Träume ist. Und dann schweigt meine innere Stimme. Und unsere Lippen sind gespitzt. Seine sind so warm, so weich. So … alles, was ich mir je erträumt habe. Sie verharren auf meinen, und ich schließe die Augen. Kann nicht anders. Platze beinahe innerlich.

  Ich weiß nicht, wer zuerst die Lippen öffnet, doch auf einmal ist da mehr. Nicht viel, aber spürbar mehr. Unsere Münder bewegen sich kaum, und trotzdem wollen sie es. Wir sind vorsichtig, sanft, gebrochen. Ich höre mein Ausatmen, Jaspers erstickten Seufzer, der nach nichts anderem als tiefer Verzweiflung klingt. Und obwohl mein verräterisches Herz hasst, was ich tue, weiß ich doch, dass es das einzig Richtige ist.

  »Das geht nicht«, sage ich und schiebe mich von ihm weg. Ein letzter Blick, dann krieche ich ans andere Ende des Sofas. »Was machen wir hier? Das dürfen wir nicht.«

  »Entschuldige«, sagt Jasper und klingt ganz hohl, heiser. »Bitte verzeih.«

  »O Gott«, entfährt es mir. Einerseits, weil ich mich nach ihm verzehre, und andererseits, weil ich der schlimmste Mensch auf dieser Welt sein muss. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Meine Haut glüht vor Scham.

  »Es ist nichts passiert«, sagt Jasper, doch ich höre die leise Panik in seiner Stimme. »Wir sind beide verwirrt. Wir brauchen Nähe und Trost.«

  Er kann nicht wissen, dass ich nun erst so richtig verwirrt bin. Aber natürlich war es das. Nähe und Trost. Doch es ist egal, was wir brauchen. Denn Blythe braucht uns. Blythe braucht ihren Mann, ihre beste Freundin.

  »Ich sollte jetzt gehen.« Ich kann kaum sprechen, so sehr stehe ich unter Schock.

  »Es ist nichts passiert«, wiederholt Jasper. »Okay? Es ist alles gut. Zwischen uns ist alles gut.«

  »Ja«, hauche ich, doch ich weiß, dass nichts gut ist. Blythe stirbt, während wir uns küssen. Hat die Welt schon einmal so etwas Abscheuliches gehört?

  Ich nehme noch wahr, wie Jasper etwas von »Extremsituationen« murmelt, dann ziehe ich die Tür hinter mir zu. Es ist eine schwüle Sommernacht, die Grillen zirpen, die Veranden der kleinen kreolischen Cottages werden durch Hängelampen und Lichterketten in ein warmes Licht getaucht. Es ist friedlich hier, beinahe zu friedlich.

  Ich springe die Stufen von Jaspers Veranda nach unten. Das Gartentor klemmt, und ich brauche einen Moment, um es zu öffnen. Dass meine Finger zittern und hinter meinen Augen Tränen darauf warten, geweint zu werden, hilft nicht. Schließlich geht es auf, und ich renne. Renne die Straße entlang. Einmal nach rechts, dann nach links. Anschließend noch hundert Meter, und ich bin zu Hause.

  Meine Mom sitzt vor dem Fernseher und sagt etwas zu mir, doch ich laufe einfach an ihr vorbei nach oben und in mein Zimmer. Hier, auf einem Regal, stehen zig Einweck- und alte Marmeladengläser. Ich gehe die einzelnen Bretter durch, bis ich ein unetikettiertes Glas gefunden habe. Der Deckel lässt sich leicht abschrauben, und ich sinke auf mein Bett. Ich schließe die Augen und durchlebe den Moment mit Jasper noch einmal in Gedanken. Ich lasse nichts aus. Spüre ihn, spüre den Schmerz. Spüre nichts als Schmerz und das kühle Glas in meinen Händen. Ich konzentriere mich darauf, alles, jedes noch so kleine Detail aus meinem Kopf zu verbannen, und dafür muss ich den Kuss mit Jasper erneut in seiner ganzen Schrecklichkeit und Schönheit durchleben. Dabei stelle ich mir vor, wie die Gedanken sich sammeln und dann als eine große Erinnerung in das Glas sinken.

  Als ich mir sicher bin, dass nichts mehr davon übrig ist, schraube ich den Deckel wieder fest auf das Glas und klebe ein Etikett darauf. Unter das heutige Datum schreibe ich in fetten, schwarzen Buchstaben das Wort Verrat. Schließlich stelle ich das Glas aufs oberste Regalbrett. Ganz nach hinten an den Rand. Wo ich es hoffentlich nie wieder sehen muss.

  2 – Jasper

  Vor vier Jahren

  Meine Hände wandern langsam über die kühlen Klaviertasten. Sie spielen wie automatisch eine Melodie. Eine Melodie voller Traurigkeit, Demut. Voll verpasster Momente und ungelebter Liebe. Sie ist weg. Für immer. Meine Frau, Westons und Mayas Mom. Mein Augenstern, meine große Liebe, die Erfüllung all meiner Träume. Wir haben Lebewohl gesagt, und sie ist gegangen. Erst ihr Blick, dann ihr Atem, ihr Herz und schließlich sie.

  Der Klang des Klaviers – wie Wellen aus Glasperlen, die kommen und gehen – vermischt sich mit schauerlichen Lauten, die tief aus meiner Kehle, aus meiner Seele zu stammen scheinen. Stöhnendes Schluchzen, ein Keuchen, das einem verzweifelten Schrei ähnelt. Tränen kullern meine Wangen herab und tropfen eine nach der anderen auf die Tasten, wo meine Finger sie verwischen.

  Nichts ist wichtig in diesem Moment. Nichts spielt eine Rolle. Ich sehe ihr Gesicht vor mir. Blythes schönes Gesicht. Ihr müdes Lächeln, ihre matte Hand, die in meiner lag. Einfach nur lag. Weil sie den Druck nicht mehr erwidern konnte. Ich spüre die Liebe, die grenzenlose Liebe, die nie vergehen darf.

  Mir fehlt die Kraft. Die Kraft, diese Leere durchzustehen. Und doch muss ich es. Für Weston und Maya, die noch nicht einmal wissen, dass ihre Mutter nicht mehr da ist. Maya ist ohnehin zu klein, um sich noch an die Frau zu erinnern, die ihr das Leben geschenkt hat. Heute Nacht bleiben die Kinder bei Phoenix, der Tagesmutter. Zuerst dachte ich, ich könnte die Einsamkeit nicht ertragen. Ich spielte mit dem Gedanken, sie abzuholen. Aber nun, da ich nicht einmal die Energie habe, meinen eigenen Kopf zu stützen, weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich brauche diesen Moment für mich. Diesen Augenblick der tiefsten Trauer, damit ich morgen für sie da sein kann. Milchpulver auflösen, Brei kochen, Windeln wechseln. Weston halten und halten und halten.

  Blythes Bruder Link hat angeboten, mir unter die Arme zu greifen, da zu sein. Jeden Tag. Und ich weiß, er wird kommen, egal, ob ich ihn darum bitte oder nicht. Alle versprechen, dass ich nicht allein sein werde. Und doch ist es genau das, was ich will. Allein sein. Wenn ich nicht mit ihr zusammen sein darf, kann ich es mit niemandem sein.

  Flashbacks der letzten Tage durchzucken meine Gedanken. Gedämpfte Gespräche im Hospiz, rot geweinte Augen, hoffnungsloses Kopfschütteln. Bonnies Gesichtsausdruck, als sie sich heute Vormittag verabschiedete. Sie wich meinem Blick aus, verschwand in den Weiten dieses seltsam friedlichen Ortes. Ich konnte sie nicht aufhalten. Konnte nicht von ihr verlangen, dazubleiben. Alles, was an diesem und an den Tagen zuvor von uns verlangt wurde, war zu viel.

  Meine Hände zittern, und ich unterbreche die sanfte Melodie für einen Moment. Doch die Stille, die durchs Haus dröhnt wie der ultimative Beweis für das Ende, erschüttert mich. Sie geht durch Mark und Bein, durch Kopf und Herz. Und ich zwinge mich zu atmen. Befehle meinen Fingern, weiterzumachen, so, wie ich weitermachen werde. Gebrochen, ein Schatten meiner selbst. Das Leben ist ein Schatten seiner selbst. Es ist ein böser Hohn, dass es voranschreitet. Für manche. Für mich.

  Maya weint seit Stunden auf meinem Arm, doch ich nehme ihre Laute kaum wahr. Ich gehe auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Weston ist eingeschlafen. Wir haben gemeinsam so lange geweint, bis er zu erschöpft war. Das war der Moment, in dem Maya aufgewacht ist. Sie will nichts essen, will nicht schlafen. Sie will weinen – und wer kann es ihr verübeln? All meine Versuch
e, sie zu beruhigen, schlugen fehl. Mein ersticktes Summen, das vorsichtige Wippen ihres kleinen Körpers in meinen Armen. Sie ist wütend auf die Welt, und ich bin es mit ihr.

  Irgendwann setze ich mich zurück ans Klavier, meine letzte Zufluchtsstätte. Ich setze Maya auf meine Beine und beginne Melodien zu spielen, die Blythe liebte. Tatsächlich scheint es zu wirken. Maya beruhigt sich für einen Augenblick, und es gelingt mir sogar, ihr ein bisschen Milch einzuflößen. Ich gestatte mir einen Moment der Erleichterung, denn ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis ein so kleines Kind dehydriert ist. Ich würde Charlie, Blythes Mom, fragen, aber ich bringe es nicht über mich, ihre Nummer zu wählen.

  Ich lehne meinen Kopf gegen das dunkle Holz des Klaviers, spiele mit der rechten Hand eine langsame Melodie und halte mit der linken die Flasche in Position.

  »Siehst du«, sage ich leise, »du hattest einfach Hunger.« Beim letzten Wort ist meine Stimme ganz dünn und zu einem hohen Schluchzen geworden.

  So findet Link uns, als er wenig später kommt. Er sieht fertig aus. Blass. Seine Augen sind dunkel umrandet. Er nimmt mir Maya ab, schickt mich ins Bett. Er hat Schlaftabletten dabei.

  »Ich bleibe, bis du wieder wach bist«, verspricht er. »Kann ohnehin nicht schlafen.«

  »Dafür sind die Dinger«, sage ich und deute auf das orangefarbene Plastikdöschen, das zwischen uns auf dem Tisch steht.

  Er lächelt müde. »Erst du.«

  Ich nicke erschöpft. Dankbar. »Wenn Weston aufwacht …«

  »Ich bin da.«

  Wir stehen alle gemeinsam am Ufer des Mississippi. Die Asche wurde in den Wind gestreut, und Sal spielt auf seiner Trompete einen langsamen Trauermarsch. Die klaren Töne durchschneiden die warme, feuchte Luft. In meinem linken Arm trage ich Maya, in meinem rechten Weston. Wir sind das, was von unserer Familie übrig ist, und wir müssen zusammenhalten. So eng zusammen, wie nur irgend möglich. Deswegen drücke ich meine beiden Kinder fest an mich, obwohl meine Arme sich anfühlen, als würden sie bald abfallen.

  Auf dem Weg zurück zu den Autos lasse ich meinen Blick über all die Menschen schweifen, die gekommen sind, um Blythe Lebewohl zu sagen. Es ist unglaublich, wie viele Leben sie berührt hat. Wie dankbar man sein muss, Teil ihrer Geschichte gewesen zu sein – auch wenn ihre Geschichte viel zu kurz war.